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Das Instrument der Superlative

Was macht die Orgel so besonders? Warum wird sie häufig „die Königin der Instrumente“ genannt?

Mittelalterliches Portativ, gemeinfreies Foto
Kleinste Form der Orgel: ein mittelalterliches Portativ. Bildausschnitt vom Kreuzaltar des Bartholomäusmeisters 1490/95. Mit der rechten Hand werden die Tasten bedient, mit der linken Hand der Blasebalg.

Orgel ist ein Instrument der Extreme und Rekorde. Sie ist das größte und massereichste Instrument. Sie ist das Instrument mit dem größten Tonumfang. Sie kann unter bestimmten Umständen das lauteste Einzelinstrument sein und unter bestimmten Umständen leise bis zur Hörgrenze gespielt werden wie nur wenige Instrumente. Die Orgel ist Tasteninstrument und Blasinstrument zugleich, denn ihre Töne werden ja alle durch Luftzufuhr erzeugt. Diese Luft wird aber nicht (wie bei den eigentlichen Blasinstrumenten) vom Spieler dem Instrument mit dem Mund zugeführt, sondern mit großen Blasebälgen erzeugt. Deshalb hat die Orgel einen theoretisch unendlichen Atem. Die Orgel hat von allen Einzelinstrumenten die größte Bandbreite an Klangfarben. Die Orgel hat vor allem die größte Bandbreite an Bauformen, Bautypen und stilistischen Varianten, die bei einem einzelnen Instrument vorkommen. Dass es so viele, so extrem unterschiedliche Orgeltypen gibt, hängt vor allem mit der großen Bedeutung zusammen, die dieses Instrument seit dem Mittelalter für die Kirche entwickelt hat, und zwar sowohl in der römisch-katholischen als auch später in der lutherischen Kirche.

Alle diese Extreme und Rekorde machen die Orgel zum Instrument der Superlative und zum vielseitigsten aller Instrumente – auch zum teuersten. Für die Kunst und speziell die Musik sind Rekorde und Superlative jedoch kein Maßstab und letztlich bedeutungslos. Ein „höher, schneller, weiter, mehr“ interessiert hier überhaupt nicht. Für die Kunst bedarf es vielmehr eines komplexen Werkzeuges, um möglichst differenziert gestalten, musizieren, spielen zu können. Und das ist genau der Sinn der sagenhaften Möglichkeiten und Extreme dieses Instrumentes. „Werkzeug“ ist denn auch die direkte Übersetzung des griechischen Wortes „organon“, aus dem das deutsche Wort „Orgel“ entstand. Die Orgel ist als Werkzeug eine riesige Maschine. Eine Maschine, die allerdings so subtil und feinsinnig auf ihren Bediener reagiert und mit ihm interagiert, dass dabei große Kunst entstehen kann. Es ist sicher kein Zufall, dass eben die Orgel und kein anderes von Menschen ersonnenes Instrument zum Inbegriff des geistlichen, des kirchlichen Instrumentes wurde. Die Orgel symbolisiert in ihren Extremen das Allumfassende und Ewige. Und das kann man nicht nur rational verstehen, sondern auch physisch und emotional spüren.

Größenverhältnisse von Pfeifen

Tonumfang und Länge der Pfeifen einer Orgel in Größenvergleich.© CC BY-SA 3.0; Urheber: Kantor.JH
Das Apostroph nach den Zahlen steht für das im Orgelbau gebräuchliche Maß „Fuß“. Zum Vergleich: Die größte Pfeife in der Mindener Martinikirche ist 16 Fuß hoch (ca. 5,12 m), in der Erlöserkirche 8 Fuß (ca. 2,56 m). Die größten Orgeln in Deutschland enthalten 32’-Register.
 
Dr. Ulf Wellner

Spiel auf einem nachgebauten mittelalterlichen Portativ

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